Lerngemeinschaft Kirche

Die Lernerfahrungen der Hauskirchen, personalen Glaubensgruppen, werden durch das gottesdienstliche Leben der Ortsgemeinde begleitet. Das ist meist der gemeinsame, öffentliche Gottesdienst, vor allem die gemeinsame Eucharistiefeier am Sonntag. So wird die Liturgie – das Werk des Volkes – zum Ort der Glaubenserfahrung und der Glaubensvermittlung auf dieser zweiten Ebene von Kirche. Mehr zu der Vorstellung von Ebenen der Kirchlichkeit findet sich hier.

  • Im gemeinsamen Lobpreis der Großtaten Gottes,
  • im gemeinsamen Hören des Wortes Gottes,
  • im gemeinsamen Vollzug der heiligen Symbolhandlungen,
  • im gemeinsamen Gebet und Gesang
  • im Austausch des Bekenntnisses

wird die versammelte Gemeinde, die sich aus vielen Familien und Gruppen, aus Vertretern unterschiedlicher Berufe, unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher politischer Meinungen zusammensetzt, in der Öffentlichkeit dieser Versammlung neu zum Volk Gottes zusammengeschlossen.
Oder in einem anderen biblischen Bild ausgedrückt, entsteht neu der Leib Christi. Gleichzeitig ist diese Ebene der Kirchlichkeit gesellschaftlich stark unter Druck. Die Bereitschaft, sich auf den gemeinsamen Gottesdienst mit anderen Gruppen einzulassen, nimmt ab. Das ist u.a. ein Grund für manche Initiative, eine personale Gemeinde zu bilden.
Unterschiedliche Subkulturen der Gesellschaft schotten sich voneinander ab – errichten, wie es die Milieuforschung nennt, Ekelschranken. Übrigens schon ein sehr altes Phänomen, sonst hätte der Apostel Paulus nicht an die Gemeinde in Korinth vom Leib Christi schreiben müssen. Wiedenhofer bemerkt: Ohne konkrete Glaubenspraxis (erste Ebene) wird dem Handeln Gottes seine Kraft entzogen. Wo der Wahrheitsanspruch nicht als Antwort auf konkrete Fragen eingelöst wird, wird der Wahrheit Gottes, die die Gemeinde bezeugen soll, ihr universaler Anspruch entzogen. Fällt die Ebene der Ortsgemeinde, die unterschiedliche Gruppen vereint, aus, verliert das Zeugnis der Kirche an Relevanz.

Um das Bild von Kirche als Lerngemeinschaft besser zu verstehen, an dieser Stelle einige systemisch geprägte Überlegungen zu Lernen und lernende Organisationen. In seinem Standardwerk zur Systementwicklung The fifth disciplin zeigt Peter Senge allen, die als Organisation gemeinsam lernen wollen, einen begrifflichen Zugang über die Vorstellungen von:

  • Denken in Systemen
  • Mentale Modelle
  • Individuelles Wachstum
  • Gemeinsame Vision
  • Lernen im Team

Für Peter Senge ist eine kreative Spannung Voraussetzung zum Lernen. Also die Differenz zwischen Soll und Ist.

Eine Frage zum Austausch: Was ist für mich aktuell eine solche Spannung in der Kirche, die ich mit der Neuausrichtung des Vatikanum II verbinde und die zum Lernen anstößt?
Also welche Differenz nehme ich wahr, zwischen der aktuellen Wirklichkeit und der Vision dieses Konzils?

Spannungen gibt es in vielfältigen Formen. Wenn wir systemisch auf uns als Kirche schauen, dann fällt auf, es gibt etwas, was uns zieht und was uns zurückhält. Jeder Zustand ist eine Art Gleichgewicht.

Was zieht für mich die Entwicklung von unserer Kirche, beim Aufnehmen — Umsetzen der Impulse des Konzils?
Was hält uns als Kirche dabei gerade zurück?

Wir erleben in einer Welt, die eine sich immer steigernde Optionsfülle bei begrenzter Zeit bietet, eine deutliche Beschleunigung, hier schließen Gedanken von Hartmut Rosa weitere Perspektiven auf. Sie wurden innerhalb der Gesprächsreihe nicht vertieft, sondern erst im Anschluss in einem anderen online Kontext.

Lerngemeinschaft – biblisch Jüngerschaft

Jüngerschaft ist in der deutschen Kirche gerade nicht attraktiv. Prof. Herbst aus Greifswald, der in der evangelikalen Szene viel gehört wird, nutzt deshalb in seinen Impulsen den Begriff mündiges Christsein – d.h. Lernen wird weniger gegenwärtig.

Ein wichtiges Dokument seit dem Vat II ist u.a. Evangelii Nuntiandi und die Vorstellung der Neuen Evangelisation. Weltkirchlich gibt es die Leitvorstellung von missionarischem Jüngersein. Dazu z.B. in der katholischen Kirche der USA den Glaubenskurs ,,Christlife“ mit drei Modulblöcken

  • Christus kennenlernen
  • Christus folgen (Jünger / Jüngerin werden)
  • Andere zu Christus führen (zum Jüngersein)

Dies orientiert sich an Matthäus Kapitel 28: Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Hat dieser Auftrag Jesu für mein persönliches Leben Bedeutung?

Jüngermachen ist die Übertragung eines griechischen Wortes, das so in unserer Sprache nicht existiert. Jüngert alle Menschen steht da.

Die Revision der Lutherbibel hat auf die Formulierung ,,Macht die Menschen zu Jüngern“ daher wieder verzichtet und Diskussionen in der evang. Kirche ausgelöst.

Austauschrunde zu Jüngerschaft und dem biblischen Auftrag: andere in diese Lebensbeziehung mit Jesus Christus zu begleiten / führen.
Vielleicht verbinde ich spontan mit Lerngemeinschaft etwas anderes?
Was möchte ich mit anderen als Kirche lernen?

Wenn S. Wiedemann mit seinen Überlegungen zu den unterschiedlichen Ebenen von Kirchlichkeit Recht hat, dann ist der Gottesdienst mit der Ausrichtung auf die Wahrheit Gottes und der Erfahrung in den Alltag gesandt zu werden, eine zentrale Unterstützung für die Lerngemeinschaften, die sich darin versammeln. Dazu nun einige persönliche Erfahrungen.

  • 2004 begann ich meine Arbeit als Pfarrer in Calw.
    Dort gab es einen sehr ansprechenden Gottesdienst im Advent mit Elementen des sinnenorientierten Ansatzes von Franz Kett.
  • 2008 musste ich die Erstkommunionvorbereitung übernehmen und baute diesen Gottesdienst zu einer kreativen Gottesdienstreihe aus, die als Weggottesdienste die Erstkommunionfamilien begleitete.

Modelle der Initiative ,,Glauben zu Hause Leben“, halfen die unterschiedlichen Schwellenerfahrungen im Familienleben gottesdienstlich zu begleiten. Dieser Ansatz von Gottesdiensten ist auch unter dem Namen ,,messy church“ in der anglikanischen Kirche verbreitet – wird bei uns seit einigen Jahren unter ,,Kirche Kunterbunt“ aufgegriffen.

In diesen Gottesdiensten entsteht ein Schnittpunkt zwischen den Ebenen von Kirchlichkeit: Ortsgemeinde und personale Gemeinde. Das Netzwerk ,,Willow-creek“ vermittelte solche Ansätze in die deutsche Kirchenszene. Das Buch ,,Glauben zu Hause Leben“ war maschinenlesbar zur Verfügung gestellt worden, so konnten Impulse einfach aufgenommen und verändert werden. Videos und Präsentationen sollten zusätzlich helfen, diese Ansätze in die Verantwortungsgremien unterschiedlicher Gemeinden zu vermitteln. Diese Ausrichtung wird durch den Ansatz ,,Lebe Orange!“ von einer überkonfessionellen Initiative aus der nordamerikanischen Kirche weiter systematisiert. Es geht darum, Gemeinde und Familie gemeinsam zu stärken.

Die biblische Vorstellung der Lerngemeinschaft findet sich sehr ausführlich im Buch Deuteronomium. Jesus zitiert daraus, als er nach dem wichtigsten Gebot gefragt wird. Der Ansatz ,,Lebe Orange!“ greift auf dieses biblische Buch zurück, um diese zwei Ebenen von Kirchlichkeit, die personale Gemeinde und die Ortsgemeinde zugleich und durchgängig zu stärken. Zusammen mit der Beobachtung, dass ,,belonging bevor believing“ kommt und die meisten Menschen zu personalen Gemeinden/Gruppen gehören, entstehen so Konsequenzen / Prioritäten für die Gemeindearbeit.

Die Farbe Orange entsteht durch die Farben:

  • Rot – mit den Familien verbunden (belonging)
  • Gelb – für die Ortsgemeinde (believing).

,,Lebe Orange!“ ist ein strategischer Ansatz zur bewussten Förderung dieser Jüngerschaftsbeziehung und zeigt, wie biblische Texte durch systemische Sichtweisen neu lebendig werden.
Verse aus dem Buch Deuteronomium Kap. 6 sind bis heute zentraler Bestandteil des jüdischen Morgen- und Abendgebets. Vers 4 wird oft als Glaubensbekenntnis des Judentums bezeichnet und nach den ersten beiden hebräischen Worten Schma Jisrael genannt.
Motivation für diesen strategischen Ansatz:

  • Die Gemeinde lässt Möglichkeiten ungenutzt, das Leben von Kindern und Jugendlichen positiv zu beeinflussen (Kirche wird im Leben der Familie real!).
  • Gemeinden verpassen entscheidende Gelegenheiten, um den Nöten von kirchenfernen Eltern in ihrem Umfeld zu begegnen. (missionarischer Aspekt)
  • Die Welt nimmt die Kirche weiterhin als institutionell, isoliert und irrelevant wahr. (Ohne Fokus auf die 2. Ebene leidet die Relevanz)
  • Die Gemeinde zeichnet sich durch oberflächliche Beziehungen aus.
  • Eltern und Gemeindeleiter ziehen nicht an einem Strang, wenn es um das Lehren der gleichen Wahrheiten geht.
  • Eltern vermeiden die Erziehung zu geistlicher Reife oder überlassen sie der Gemeinde. (Konsumkultur hat hier ihre Nebenwirkung)
    Fragen zum Austausch: Strategisches Denken und Handeln im Umfeld der Gemeinde ist selten – welche Gründe vermute ich dafür?

Familienwerte der Orange-Strategie (mit Dtn 6,4-7 als Basis)

  • VOM ENDE HER DENKEN Lenken Sie Ihre Prioritäten auf das Wesentliche.
  • DAS HERZ EROBERN Vermitteln Sie Ihrem Kind/Jugendlichen, wie wichtig Ihnen die Beziehung zu ihm ist.
  • BEI SICH SELBST ANFANGEN Bemühen Sie sich, selbst geistlich zu reifen.
  • RITUALE SCHAFFEN Steigern Sie sowohl die Quantität als auch die Qualität Ihrer Familienzeit.
  • DEN KREIS ERWEITERN Suchen Sie nach guten Vorbildern für Ihre Kinder.
    Fragen zum Austausch:

Welche Familienwerte sind aus der eigenen Praxis vertraut?

Wo motivieren diese Werte, Kirche weiter zu denken?


Familienzeiten der Orange-Strategie (mit Dtn 6,7 als Basis)

  • BEIM ESSEN Lehr-Gespräche, um zentrale Werte zu vermitteln – hier nehmen die Eltern eine LEHRER-Rolle an
  • BEIM AUTOFAHREN Lockere Gespräche, um sich über das Leben auszutauschen – hier nehmen die Eltern eine FREUND-Rolle an
  • BEIM ZUBETTGEHEN Vertraute Gespräche, um zu hören, was dem Kind am Herzen liegt – hier nehmen die Eltern eine RATGEBER-Rolle an
  • BEIM AUFSTEHEN Ermutigende Gespräche, um Wertschätzung und Sinn zu vermitteln – hier nehmen die Eltern eine TRAINER-Rolle an

Dinge, die jedes Kind braucht

  • EINEN ECHT GROSSEN GOTT, dem sie immer vertrauen können – Kinder sollten in dem Wissen aufwachsen, dass Gott ihnen in jeder Lebenslage helfen kann.
  • JEMAND ANDEREN Kinder brauchen Freunde, die sie ermutigen, im Glauben zu wachsen.
  • EINE ANDERE STIMME, die dasselbe sagt, wie ihre Eltern. Wenn Kinder älter werden, brauchen sie noch andere geistliche Vorbilder als ihre Eltern.
  • EIN BESONDERES GESPÜR,das ihnen hilft, weise Entscheidungen zu treffen Gottes Perspektive und seine Wahrheit sollten zum wichtigsten Maßstab werden, an dem sich Kinder im Leben orientieren.
  • NEUGIERIGE ELTERN, die wissen, wo ihre Kinder geistlich stehen. Kinder brauchen Eltern, die sich um gemeinsame Familienzeiten bemühen und aktiv am geistlichen Wachstum ihrer Kinder Anteil nehmen.


Strategische Grundprinzipen, um Gemeinde und Familien gemeinsam zu stärken.

  • DIE FAMILIE MOBILISIEREN Die Kombination zweier Einflüsse stärkt den Glauben im Alltag. Eltern beteiligen sich aktiv an der geistlichen Erziehung ihrer Kinder.
  • DIE GEMEINDE WIRKSAM WERDEN LASSEN Die Kombination zweier Einflüsse erhöht die Chancen. Jedes Kind hat einen fürsorglichen Leiter und eine beständige Gruppe Gleichaltriger.
  • EINE GANZHEITLICHE STRATEGIE Die Kombination zweier Einflüsse schafft Synergien. Eltern und Leitern haben dasselbe Ziel.
  • DIE BOTSCHAFT ZUSPITZEN Die Kombination zweier Einflüsse betont das Entscheidende. Kernwahrheiten werden spannend, relevant und einprägsam gestaltet.
  • DIE CHANCE, EINFLUSS ZU NEHMEN Die Kombination zweier Einflüsse mobilisiert Generationen. Jugendliche erhalten konsequent die Möglichkeit, sich persönlich in der Gemeinde zu engagieren.


Fünf Glaubenskompetenzen

  • MIT DER BIBEL UMGEHEN Einen Überblick erhalten und etwas finden. Lernen, wo sie passende Verse finden können, die ihnen bei bestimmten Fragen helfen.
  • BIBELSTELLEN PERSÖNLICH NEHMEN Auswendig lernen und anwenden. Einprägen, was in der Bibel steht, damit sie sich im Alltag und in schwierigen Situationen an Gottes Wort erinnern.
  • MIT GOTT KOMMUNIZIEREN öffentlich und privat Üben, mit Gott zu reden.
  • ÜBER DEN GLAUBEN REDEN ihn weitergeben und für ihn eintreten. Diskutieren und Hinterfragen, damit sie einen persönlichen Glauben entwickeln, zu dem sie stehen können.
  • GOTT MIT DEM EIGENEN LEBEN EHREN mitarbeiten und sich investieren. Lernen, wie sie Gott in ihrem Alltag etwas zurückgeben und ihm dienen können.


Katalysatoren für geistliches Wachstum

  • LEBENSVERÄNDERNDE WAHRHEIT Was können Sie tun, um ihnen geistliche Wahrheiten zu verdeutlichen?
  • GEISTLICHE ÜBUNGEN Wie können Sie ihnen dabei helfen, geistliche Rituale zu entwickeln?
  • MITARBEIT Wie können Sie sie ermutigen, einen eigenen Dienst in der Gemeinde zu übernehmen?
  • BEDEUTSAME BEZIEHUNGEN Wie können Sie sich effektiver in diejenigen investieren, die Ihrer Leitung unterstehen? Wie können Sie andere Leiter dazu motivieren, bedeutsame Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen zu pflegen?
  • SCHLÜSSELERLEBNISSE Was können Sie tun, wenn es Krisen oder Schwierigkeiten im Leben der Kinder und Jugendlichen gibt?


Fragen zum Austausch:

  • Strategisches Denken und Handeln im Umfeld der Gemeinde ist selten – welche Gründe gibt es dafür?
  • Welche Familienwerte sind mir aus der eigenen Praxis vertraut?
  • Wo motivieren diese Werte mich, Kirche im Kleinen weiter zu denken?
  • Welche Grundprinzipien sind mir aus der eigenen Praxis vertraut?
  • Wo motivieren diese Prinzipien mich, das Tun der Gemeinde weiter zu denken?
  • Welchen Wert – welches Grundprinzip möchte ich mehr kennenlernen?

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