Gedanken zum Hirtendienst in der Kirche, angestoßen von den Lesungen am 16. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B:
Jer 23, 1-6, Ps 23, Eph 2, 13-18, Mk 6, 30-34
Liebe Mitchristen
Die Worte des heutigen Evangeliums sind für mich ein wichtiger Schlüssel. Jesus Christus sieht die Menschen, erkennt, dass ihnen etwas fehlt, hat mit ihnen dem Mitleid, und wendet sich ihnen zu.
Wir glauben, dass die Kirche der Leib Christi ist, dass dort, wo Menschen versammelt sind in seinem Namen, sie Anteil haben an Jesus Christus, an seiner Sendung. Was nehmen Sie wahr, wenn Sie heute auf die Menschen in Ihrer Umgebung schauen?
Woran würden Sie festmachen, dass da Menschen ohne Hirten sind? Also ohne pastorale Zuwendung leben müssen?
Ich selber merke an solchen Menschen und auch an mir, wenn ich gerade einen Hirten vermisse, man ist leicht irritierbar, unruhig, … Es fehlt das Wissen um die Grundrichtung des Lebens, das Vertrauen.
Und ich möchte Ihnen eine vielleicht provozierende These vorstellen. Bei uns in Rottenburg leben viele Menschen ohne diese Zuwendung, ist viel Bedarf an Hirten, an Seelsorge da, ein Bedarf, der dann in dieser fehlenden Ruhe und Gelassenheit erkennbar ist. Und in diesen Mangel hinein ruft der Geist Gottes Seelsorger und Seelsorgerinnen.
2 Erfahrungen dazu: Wir hatten im Frühjahr während der Pandemie in meiner damaligen Gemeinde einen Alpha-Kurs-online und Firmbewerber*innen haben da mitgemacht. Eine Firmbewerberin schreibt im Rückblick zu diesem Kurs: ,,Mir ist die Entscheidung, eine bestimmte Gruppe zu verlassen, sehr schwer gefallen. Die Kraft und den Mut dazu habe ich mir aus den Gesprächen mit meiner Mutter und auch aus dem Alphakurs geholt. Daher war der Alphakurs für mich sehr wichtig und auch gleichzeitig mit die beste Firmvorbereitung. Es hat mir so gut gefallen, dass ich im Herbst gerne damit weitermachen möchte." Im Kontakt mit der Mutter und anderen Jugendlichen im Alpha-Kurs hat diese Firmbewerberin Kraft und Orientierung gespürt, Seelsorge.
Es gibt auch eine andere Erfahrung, die gerade durch die letzten Jahrhunderte der Kirchenwirklichkeit bestimmt ist. Da werden ausschließlich vielleicht sogar die Pfarrer als Seelsorger bezeichnet, und in dieser Rollenbeschreibung sollen sie dann auch die Seelsorge betreiben. Dafür werden sie bezahlt. Die Blickrichtung auf den hauptberuflichen Seelsorger verstellt die Chance, die sich durch die Entwicklung des Vat II in unserer Kirche auftut. Statt die Möglichkeiten zu sehen, die entstehen, wenn sich viele Christen der Gemeinde in die Seelsorge einbringen, steht eine Erwartung an andere im Raum. Und damit eine Vorstellung von Kirche, von Pfarrei, die mit dem 2. Vatikanum bewusst verabschiedet wurde. Dies möchte ich am Beispiel der Gemeindereferentinnen erläutern.
Dieses Berufsbild existiert in unserer Kirche schon ca. 90 Jahre. Anfänglich waren es Seelsorgehelferinnen, unverheiratete Frauen, die dem Seelsorger, dem Pfarrer halfen. Das Monopol auf Seelsorge in diesem Verständnis hatte der Pfarrer. Aber diese Zeiten des Monopols sind vorbei, das zeigt auch die heutige Berufsbezeichnung: Gemeindereferentin. Am vergangenen Samstag war übrigens in diesem Jahr die Feier der Beauftragung von Personen für diese Berufsgruppe in Untermarchtal
Das Wort Gemeinde bringt für mich besser zum Ausdruck: die ganze Gemeinde trägt den Hirtendienst in der Kirche, trägt die Seelsorge. Alle Getauften haben – wie das II. Vatikanische Konzil betont – durch die Taufe teil an Jesus Christus, an seinem Priestertum, somit am Dienst an den Mitmenschen. Dies meint auch Mitverantwortung für die Bereitung von geistlichen und kirchlichen Berufen in den Gemeinden, Gemeinschaften und Familien, für den Nachwuchs von hauptberuflichen Seelsorgern und Seelsorgerinnen.
Im Wort Beruf steckt das Wort Ruf. Wer oder was ruft denn da? In meinem Leben war es wichtig, dass Menschen mir sagten, wir brauchen dich, mach mit, wir wollen dich als unseren Hirten. Mit der Verantwortung bin ich in meinem geistlichen Leben gewachsen und konnte mir dann auch vorstellen dieses Engagement hauptberuflich zu machen.
Ähnlich haben es mir viele Aktive aus unterschiedlichen Gemeinden erzählt. Sie haben oft erlebt, wie sie und ihr Glauben, wie lebendig dieser auch war, gebraucht wurde, z.B. bei der Glaubensweitergabe an die eigenen Kinder und es sich so vertiefte.
Persönlich glaube ich, dass der Weg aus der Krise der Kirche und der geistlichen Berufungen über die lebendige Teilhabe vieler am Gemeindeleben geht.
Wenn viele erleben, das der Hirtendienst im Namen Jesu Christi ein Privileg ist, dass sie mit Vertrauen und Gaben beschenkt, dann glaube ich, werden auch mehr Menschen sich diesem Ruf so öffnen, dass er ihr Leben ganz bestimmen kann.
Die Form unsere Kirche am Ort wird sich verändern. Davon bin ich überzeugt. Mir ist auch klar, dass Kirche als Miteinander von Menschen im Glauben, die einander vertrauen und gemeinsam auf Gott hören, also IHM geh – hören, der Ort ist, an dem Kirche wirklich, real wird, und an dem Seelsorge geschieht. Ein Kirchenvater hat einmal gesagt: die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch und das ist ein Mensch, der sich mit seinen Gaben im Namen Jesu Christi des GUTEN HIRTEN einbringt.
Ich denke, in unserer immer anonymer werdenden Industrie- und Konsumgesellschaft gibt es viele, die nach dieser Gemeinschaft und Seelsorge suchen, nach Menschen, die mit ihnen die Antennen zu Gott, zu den großen Fragen nach dem Sinn, dem „woher und wohin und wozu", aufstellen und bereit sind, Wegstrecken in ihrem Leben gemeinsam zu gehen. Das zeigt auch die Resonanz auf die Alpha-Kurse, die an vielen Orten laufen. Diese Bewegung hat sich übrigens zum Ziel gesetzt, bis 2033 jedem Menschen auf der Welt eine Möglichkeit zu bieten, in diesem Kontext den eigenen Lebensfragen nachzugehen, also auch in China und anderen Teilen unserer Erde, wo der christliche Glaube keine große Verbreitung hat, oft sogar verfolgt wird, weil die persönliche Freiheit, die der Glaube ermöglicht, die Macht der autoritären Systeme dieser Länder stört. Zum Dienst der Seelsorge sind für mich viel mehr gerufen, als eine Kirche und Glaubensgemeinschaft bezahlen könnte. Denn dieser Dienst ist, wie auch die Liebe, im Grunde unbezahlbar. Wenn Jesus die Menschen im Evangelium lange lehrt, dann stelle ich mir vor, dass er ihnen erschließt, wie sie sich dem Heiligen Geist, dem Leben aus Gott, dem anbrechenden Reich der Himmel öffnen können.
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