Biblische Texte: L1: Dtn 8, 7-18; Ev: Lk 12,15-21
Predigt: Liebe Mitchristen
Wie hören Sie Worte der Bibel im Gottesdienst? Gerade wenn es mahnende Worte sind. Jesu Anfrage an Besitzende im Evangelium ist vielleicht ja noch im Ohr: Denn das Leben eines Menschen besteht nicht darin, dass einer im Überfluss seines Besitzes lebt. Mit ,,Nichtzielen" ist es ja so eine Sache. Wenn man weiß, was nicht das Wesen eines Lebens sein soll, bleibt ja noch offen, wie eine gute Zielrichtung genauer aussieht. Was macht für Sie ein gutes Leben aus? Wie würden Sie diese Frage für Menschen, mit denen Sie Ihr Leben teilen, Familie – Freunde beantworten? In unserer Zeit leben – im Vergleich zum Lebensstil der Großeltern – viele von uns in einem gewissen Überfluss. Erntedank fragt uns an: Wie gestalten wir in dieser Situation unser Leben? Was – vermuten wir – wäre ein gute Ausrichtung in den Augen Gottes?
Vielleicht kann ja die erste Lesung helfen. Können uns die Worte an das Volk im gelobten Land ansprechen oder sagen Sie sich schnell, na ja, das hat dem Volk Israel gegolten, für mich gelten sie nicht? Falls Sie sich im Volk Gottes wiederfinden, die Worte also für sich selbst im 21. Jahrhundert hören, was kann helfen, die Mahnung in der Lesung zu beherzigen?
nimm dich in Acht, dass dein Herz nicht hochmütig wird und du den HERRN, deinen Gott, nicht vergisst, der dich aus … dem Sklavenhaus, geführt hat;
um, nachdem er dich … geprüft hat, dir zuletzt Gutes zu tun. Dann nimm dich in Acht und denk nicht bei dir: Ich habe mir diesen Reichtum aus eigener Kraft und mit eigener Hand erworben. Gedenke vielmehr des HERRN, deines Gottes: Er ist es, der dir die Kraft gibt, Reichtum zu erwerben, weil er seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hatte, so verwirklichen will, wie er es heute tut.
Wissenschaftliches Denken heute blendet Gott systematisch aus. In anderen Bereichen, z.B. im Grundgesetz ist das, nach der Erfahrung mit dem Unrecht des Naziregimes, bewusst anders. Unsere Verfassung betont u.a Religionsfreiheit, also die Freiheit zur persönlichen Gestaltung der Religion als wesentlich für das Miteinander unserer Gesellschaft. Auf der homepage der Bundeszentrale für politische Bildung ist zu lesen: Das Wort ,,Religion" stammt vom lateinischen „religio" ab, das unter anderem mit „Gottesfurcht", „Gottesverehrung" oder „Heiligkeit" übersetzt werden kann.
Diese Ahnung von Gottesfurcht oder Heiligkeit, so höre ich die Mahnung der Lesung, kann verloren gehen. Insbesondere scheint die Erfahrung von Wohlstand Menschen dazu zu verleiten, einen inneren Bezug zu einer Wirklichkeit, die die irdischen Güter übersteigt, aufzugeben. Der diesjährige Kongress von Renovabis, einem Werk der katholischen Kirche, zitiert u.a. den Religionssoziologen Pollack: Die moderne Gesellschaft biete so viele Entfaltungsmöglichkeiten, dass Religion in allen Rankings auf dem hinteren Platz lande. Der Prozess der Individualisierung schreite voran. Dazu gehöre, sich in religiösen Belangen nicht sagen lassen zu wollen, was man zu glauben habe.
Religion als etwas Äußerliches, ein System von Gedanken und Glaubenssätzen ist nicht anziehend, als eine Institution, schreckt Menschen eher ab. Ob das auch für den Inhalt des Begriffs ,,Religion" gilt, ist für mich offen. Gottesfurcht, Ehrfurcht, Staunen können – so legen Forschungen nahe – eine grundlegende menschliche Emotion sein. Sie hat Auswirkungen auf das eigene Selbstbild. Michelle Shiota, eine Psychologin von der amerikanischen Arizona State University, sieht eine Hauptfunktion der Ehrfurcht darin, dass wir aufnahmefähig werden für neue, unerwartete Informationen. Ehrfurchtserlebnisse lassen Menschen sich plötzlich selbst als klein empfinden angesichts des überwältigenden Eindrucks — nicht im negativen Sinn, dass sie unbedeutend wären. Ihr eigenes Ego ist gegenüber der Welt einfach nicht mehr so wichtig.
Dies verändert auch die Aufmerksamkeit für andere, etwa für Menschen in Not. Tatsächlich werden wir nach solchen Erfahrungen hilfsbereiter, bescheidener, nehmen uns weniger wichtig gegenüber anderen Menschen. Ehrfurchtserfahrungen bestärken unseren Gemeinsinn, so ein Beitrag in SWR2-Wissen über Forschungen zur Ehrfurcht, der mich für diese Predigtgedanken inspiriert hat. In uns Menschen ist also etwas angelegt, was uns dabei unterstützt, zu sich selbst und zur ganzen Schöpfung in offene Beziehung zu kommen. In diesem Zusammenhang ermutigt die Lesung, Staunen nicht zu verlernen, so in eine Beziehung zu Gott, dem Schöpfer, zu finden, der uns in die Freiheit führen will. Diese Beziehung zu Gott der Quelle aller Liebe kann nur in aller Freiheit entstehen. Freiheit ist übrigens in unserer Konsumgesellschaft ein wichtiges Stichwort und vermutlich ein rares Gut.
Viele Forschungen werden unternommen, um Menschen dazu zu bringen, bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen, meist geht es um das Kaufen, den Konsum. Oft ist eine gewisse Bequemlichkeit oder die Aussicht auf einen Status das Lockmittel. Oder auch eine Ahnung von Verbundenheit mit anderen Menschen, deren Likes dann dazu führen, dass viel Zeit in den sozialen Medien hängen bleibt. Freiwillig geben Menschen so ihre Freiheit auf, liefern sich Interessen großer IT-Firmen und deren Geldgebern aus – unsere Politik versucht dagegen zu steuern, aber im Grunde ist es ein Thema der persönlichen Lebensgestaltung. Die Lesung mahnt ,Nimm dich in acht‘, also Achtsamkeit hilft dabei, widerstandsfähiger zu werden, sich nicht so einfach manipulieren zu lassen. Regelmäßig Staunen zu üben, z.B. über die Schönheit der Schöpfung, könnte da ein wirksamer Anfang sein – in den Psalmen wird dieser Praxis übrigens Weisheit verheißen. Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit. Oder auch Dankbarkeit zu pflegen
- eine Haltung die nachweislich froher macht und vermutlich auch immer wieder Anlass gibt, zu staunen über die Art und Weise, wie wir Menschen beschenkt und begleitet sind.
Erntedank – dieses jährliche Fest wird so zum Anlass, über die persönliche Ausrichtung im Leben nachzudenken. Es lädt auch ein, einen Entschluss zu wagen, sich bewusst einem Lebenssinn zu öffnen, der über den Konsum hinausgeht. Wer einen solchen Entschluss umsetzt und dabei etwas von Gottes Führung und Bewahrung im eigenen Leben ahnt, wird auch Interesse entwickeln für Erfahrungen anderer mit dieser Wirklichkeit, wird davon lernen wollen, wie es gut gelingt, eigene Erfahrungen zu deuten, um gut der Führung Gottes folgen zu können. Es käme darauf an, eine Sicht zu gewinnen, wie sie die Lesung ins Wort bringt. Gott möchte mir Gutes tun – nachdem es auch Zeiten von Prüfung gegeben hat. So wächst nach und nach ein persönlicher Zugang zum Sinn des Lebens, der trägt über den Tod hinaus.
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