Predigt zu Mk 4,35-41 und 2 Kor 5,14-17
Liebe Mitchristen Wann wehte Ihnen zuletzt der Wind ins Gesicht?
War es bei einem Spaziergang, beim Radfahren und dann eher ein lästiger Widerstand oder war es in diesen noch nicht so sommerlichen Tagen bei einem heftigen Schauer?
Es gibt ja den sprichwörtlichen Gegenwind. Dieses Sprachbild passt auch auf die Kirchen- und Gemeindesituation heute. Der Kirche bläst der Wind des Zeitgeistes ins Gesicht — so wird dies in etwas blumiger Form ausgedrückt. Wer so denkt, bezieht sich auf sehr unterschiedliche Beobachtungen:
- Da kommen immer weniger Menschen in die sonntäglichen Gottesdienste der Gemeinde
- Da finden Jugendliche kaum noch Bezug zur Kirche in unserer Gesellschaft — Kirche ist in ihrer Sprache uncool
- Da entschließen sich immer weniger Menschen, einen Beruf in der Kirche zu suchen, ob als Priester, Ordensleute oder als Laientheologen
- Da boomt der Markt der religiösen Möglichkeiten spürbar, aber dies geht an der institutionellen Kirche vorbei.
- Da beschäftigt sich die Kirche sehr mit internen Fragen, die Menschen außerhalb der Kirche kaum interessieren.
- Da ändert sich Liebgewordenes, ja für viele Gemeindeglieder ist fast ein Chaos ausgebrochen.
Die Erfahrung des heutigen Evangeliums mit Sturm, und Auf und Ab in diesem Sturm, ist für viele im Blick auf ihren persönlichen Bezug zu Kirche sehr lebendig und konkret.
Durch das Meer der Zeit muss Kirche, muss jede Gemeinde ihren Weg finden. Gerade in Krisenzeiten sind Stürme, steife Brisen, die manche Welle vor sich hertreiben, normal. Wie sich der Sturm auswirkt, hat viel mit der Fahrtrichtung des Schiffes zu tun, konkret also mit inneren Bildern von Kirche und Gemeinde, mit dem Selbstverständnis des Glaubens und Erfahrungen von Seelsorge.
Im Evangelium sagt Jesus zu den Jüngern: Wir wollen ans andere Ufer hinüber fahren. Heute ist man da ja sehr aufmerksam geworden. Wollen wir das wirklich? Was wollen wir eigentlich?
Manchmal scheint es so, als wollten viele Kirche so auslaufen lassen, dann könnte es dort so bleiben, wie man es gewohnt war. Es wird in der Geschichte nicht erzählt, was die Jünger denken, als sie die Ansage Jesu hören. Bei anstehenden Veränderungen liegt es ja nahe zu denken, Wäre es nicht viel angenehmer, dass alles so bleibt wie es ist? Aber vielleicht ist angenehm als Kriterium gar nicht so nachhaltig.
Und manche Entscheidung wird von der Glaubensgemeinschaft vorausgesetzt. Wir wollen … Die Lesung richtet den Blick auf den Ruf an uns Christen, nicht mehr uns selber zu leben, sondern für Christus, als neue Schöpfung. Ein solches Ziel ins Auge fassen, bedeutet auch, sich zu entscheiden. Das muss ja nicht immer angenehm sein, wie z.B. das Bootfahren bei turbulentem Wetter.
Es gilt, ans andere Ufer zu gelangen und davon gibt es 2 sehr unterschiedliche Vorstellung in unserer Kirche. Zum einen könnte damit die Versorgung der Gläubigen durch Hauptamtliche, Priester, Klerus oder wie immer diese Elitegruppe genannt wird, gemeint sein. Dieses Richtung hat die Fahrt der Kirche über die meiste Zeit des vorigen Jahrtausends bestimmt.
Oder es ist die Ausrichtung auf die mitsorgende Gemeinde, eine Vorstellung, die die Dokumente des Aufbruchs im Vat II anregen. Dieses Ziel weiß sich Vorstellungen der Urkirche verpflichtet.
Früher war ich regelmäßig segeln. Etwas aus dieser Zeit fällt mir in diesem Zusammenhang ein. Eine Böe, also ein Windstoß, ist für ein stehendes Boot sehr unangenehm. Es kann sogar kentern. Daher ist es wichtig, mit dem Boot Fahrt aufzunehmen. Ein Buch mit dem Titel ,Auslaufmodell Kirche‘ bringt beides in einem Sprachspiel zusammen. Manches in unserer Erfahrung von Kirche läuft aus, ist nicht mehr so prägend. Kirche, als Gemeinschaft von Glaubenden, muss im Bild des Bootes gedacht, auslaufen, Fahrt aufnehmen. Dazu braucht es eine Richtung, in die das Boot gesteuert wird. Das ängstliche Verhalten der Jünger im Evangelium zeigt eine Sackgasse, denn Jesus tadelt sie. Sie rufen Gott an und unterstellen, das Leben wäre in den Augen Gottes nichts wert. Die Jünger können als Fischer ja mit einem Boot umgehen. Sie dürfen und sollen vielleicht auch zu Gott schreien. Nur sollen sie dies nicht tun, ohne ihre Fähigkeiten einzusetzen. Und da hat das Evangelium einen wichtigen Fingerzeig. Erinnern sich die Jünger noch an den Anfang ihrer Fahrt? Wir wollen ans andere Ufer, die Richtung muss bewusst sein.
Gerade beim Segeln, wenn der Wind stärker wird, ist es besonders wichtig, das Steuer fest in der Hand zu haben. Wenn der Steuermann nämlich das Steuer loslässt, dann dreht das Boot sich im Wind, das Segel schlägt von einer Seite auf die andere, und es kann schnell lebensgefährlich werden. Denn wenn einer im Boot von der Halterung des Segels — man nennt dies den Baum — erwischt wird, kann er oder sie ko-geschlagen ins Wasser fallen.
Und dann noch etwas: solange es keinen Wind gibt, macht das Segeln keinen Spaß. Es gibt sogar viele, die erst bei Starkwind sich aufs Wasser begeben. Segeln im Gegenwind ist etwas Tolles. Das Boot nimmt Fahrt auf. Alle spüren viel Kraft und Energie. Kann ein solches Bild nicht auch etwas sein für das eigene Leben, für das Gemeindeleben?
Die Impulse des Vat II, u.a. das Ziel eine selbstsorgende Gemeinde zu ermöglichen, haben mich Pfarrer werden lassen und so ist es für mich eine inspirierende Vorstellung: Die Gemeinde wie die Kirche als Boot, das aus dem Hafen ausläuft, sich auf dem Weg ans andere Ufer macht. Da ist viel in Bewegung, manche Brise frischt auf, und die Gefahr, sich treiben zu lassen. Der Glaube an Jesus Christus hält das Boot auf Kurs. Die Stürme der Zeit werden was bewegen, und wir werden das andere Ufer erreichen. Dies zeigen uns viele Erfahrungen der Kirche, insbesondere aus den Konzilien. Diese Zuversicht hat das Evangelium des letzten Sonntags bestimmt, das davon wusste, dass von selbst, automatisch, das Reich Gottes wächst.
Sie werden ja wissen, dass ich einige Jahre als Systemingenieur gearbeitet habe. Um die Bedeutung dieses Satzes von Jesus Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren besser zu verstehen, finde ich Einsichten des Systemdenkens hilfreich:
- worauf du in deinem Leben achtest, das bekommt Gewicht
- was du in dir wiederholst, das verstärkst du in dir
- in welche Richtung du schaust, dorthin führt dein Weg
Wir wollen – das braucht immer neu die Vergewisserung zu dem, was uns wirklich wichtig ist, worauf es sich lohnt, zu achten, was Gewicht bekommen soll. Dies muss nicht nur einmal geschehen, sondern immer wieder, damit es stark wird. Das werden Sie als Gemeinde am Ort wissen und immer neu auch bewusst als Zielrichtung in den Blick nehmen müssen, sonst läuft das eigene Gemeindeleben irgendwann aus, ist nicht mehr da. Um in dieses gemeinsame Wollen hineinzufinden, ist eine persönliche Entscheidung nötig, damit das Ziel auch erreicht wird.
Deshalb wird es Sie nicht überraschen, dass ich ein neues geistliches Lied in diesem Zusammenhang sehr attraktiv finde. Da heißt es in der 3. Strophe:
3. Wenn der Geist sich regt, ein Sturm aufzieht, in die Segel bläst,
reißt alles mit, springt ins Boot und helft dem Steuermann, dass mit
voller Kraft es vorwärts gehen kann!
Schreibe einen Kommentar