Predigt: Liebe Mitchristen
Dieses vertraute Evangelium hat unsere Sprache beeinflusst. Samariter sind barmherzige Menschen. Schauen wir noch einmal genau hin. Der Ausgangspunkt ist eine Frage, die auf die Probe stellt, die einen Haken hat: Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben bekomme? Mit einer Gegenfrage übernimmt Jesus in dieser Situation die Führung. Der Gesetzeslehrer gibt nicht auf, fragt wieder. Jesus antwortet mit einer Geschichte. So nimmt er seine Zuhörenden mit. Damals den Gesetzeslehrer + die Jünger, heute uns.
Was ist der Haken an der Ausgangsfrage? ,,Ewiges Leben bekommen", das geht ja nicht so direkt, Leben ist kein Konsumgut, ganz besonders, wenn es ,,ewig" sein soll, also etwas Bleibendes – richtiges Leben, Lebendigkeit hat andere Qualität kann Menschen ergreifen, erfüllen, prägen. Es bräuchte also einen Perspektivwechsel. Das zeigt auch die nachgelegte Frage: Wer ist denn mein Mitmensch? (Da schwingt ja mit – und wer nicht?) Es geht dem Fragenden um Grenzen. Jesus geht es um den Kern, um die Haltung, also um dass, was uns im Leben Halt gibt, woran wir uns halten können. Und für diesen Wechsel nimmt Jesus seine Zuhörer mit als begnadeter Erzähler. Lassen wir noch einmal darauf ein:
Ein Mann geht von Jerusalem nach Jericho. Sein Weg durch die Wüste von Juda ist ungefähr 27km lang. Jerusalem liegt auf der Höhe, so dass es heißt hinab. Jesus benutzt im Griechischen, der Originalsprache des Evangeliums, eine Formulierung, die deutlich macht, dass ein gewohnheitsmäßiger Weg ist. Diesen Hinweis kann man einem Kommentar entnehmen, der sprachliche Eigenheiten des griechischen Urtext erklärt. Dann passiert mit dem Überfall ein Unglück. Der Mann, bislang handelndes Subjekt, wird zum Objekt der Räuber. Diese
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nehmen ihm alles weg
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schlagen ihn zusammen
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machen sich davon
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lassen ihn liegen (halbtot)
halbtot macht es für einen Vorbeikommenden unklar, ob der Mensch lebt oder tot ist. Wie kann diesem Menschen geholfen werden.
Der Priester geht auch gewohnheitsmäßig von Jerusalem, dh vom Tempeldienst, nach Jericho, wahrscheinlich sein Zuhaus. Ein Hoffungsschimmer entsteht. Ein Mann Gottes kommt nun am Unglücksort vorbei. Den damaligen Hörern war bewusst, dass die Berührung mit einem Toten sie als Juden kultisch unrein macht, aber der Mensch ist ja nur halbtot. Die Worte Sah ihn und ging vorbei enttäuschen jeden, der sich unwillkürlich etwas mit dem Halbtoten identifiziert hatte.
Es gibt eine 2 Chance. Der Levit ist in der Hierarchie etwas tiefer angesiedelt also auch ein Gottesmann. Die Begegnung gestaltet sich wie beim ersten Mal. Sah ihn und ging vorüber — dies drängt die Hoffnung noch weiter zurück. Es sieht schlecht aus für den Halbtoten.
Aller guten Dinge sind 3, heißt es, und nach dem Priester und dem Leviten hätte Jesus als 3. Person beispielsweise einen Laien wählen können, um etwas tiefer in der Hierarchie zu sein. Mit dem Samaritaner überrascht er. Das lässt es für den Halbtoten noch schwieriger werden. Durch eine geschichtliche gewachsene Spannung zwischen Juden und Samaritern erwartet ein Jude von Samaritern nichts Gutes. Dann: Als er ihn sah… Der Hörer ist gespannt. Was wird nun ein Samariter machen? Er wird von Mitleid bewegt. Das war nicht zu erwarten. Aus seiner inneren Haltung des Mitleids entspringen Taten. Der Samariter leistet erste Hilfe, die 3-fach entfaltet ist.
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geht zu ihm hin (dh er geht nicht vorüber, wie es als Samariter zu erwarten gewesen wäre)
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gießt Öl und Wein auf die Wunden
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verbindet sie
In 3facher Weise setzt der Samariter diese erste Hilfe fort – er
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setzt den Überfallenen auf sein eigenes Lasttier
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bringt den Verwundeten in eine Herberge
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kümmert sich um den Menschen dort
Und es gibt noch einen weiteren Horizont. Der Samariter setzt 2 Denare ein, um für die Zukunft zu helfen, und verspricht dem Wirt, für etwaige Mehrkosten aufzukommen. Ein Denar ist der Tagessatz eines Tagelöhners. 2 Denare mögen für den Samariter eine spürbare Summe gewesen sein. Die Hilfe ist 3fach kurz-, mittel- und langfristig.
Jesus wieder mit einer Frage – Sie wissen ja, wer fragt, der führt und in der Kultur des Judentums sind Fragen zentral: Wer ist dem Mann, als Mitmensch begegnet? Damit ist der Perspektivwechsel konkret. Und es geht um den eigenen Kern – nicht mehr um Grenzen, über die man trefflich streiten kann.
Der Perspektivwechsel ist angekommen, die Haltung des Mitleids ist im Blick – und Jesus fordert auf Geh und mach es ebenso.
Und wenn wir das heute hören? Was kann heute dem eigenen Mitleid im Weg stehen? Was kann einem jeden von uns helfen, der Liebe, dem Leben, mehr Raum im eigenen Leben zu geben, so wie es uns das Gesetz nahelegt? Können wir einander dabei im Alltag bestärken?
Diese Predigtgedanken begleiten mich schon seit meinem Studium. Ich hätte nie erwartet, dass bei uns und in anderen westlichen Ländern in der Politik Abgrenzung so hoffähig werden würde, dass sich da so ein Kontrast zu dieser Geschichte ergibt – Politiker, die sich als vom Christentum beeinflusst verstehen, Mitgefühl und Nächstenliebe so wenig wichtig nehmen. Wer Barmherzigkeit begrenzen will, der fördert im Grunde das Recht des Stärkeren, der wehrt sich gegen das schlechte Gewissen, dass sich fast automatisch zeigt, wenn Barmherzigkeit offensichtlich verweigert wird.
Ein Weg der Bestärkung ist eine Entscheidung für eine Weggemeinschaft im Glauben mit anderen Weggefährten und Gefährtinnen. So ein gemeinsamer Lernweg, ob inspiriert durch das gemeinsame Hören auf Gottes Wort oder durch andere geistliche Übungsformen wird die Teilnehmenden dafür öffnen, der Andere ist ja wie man selbst – ein Mensch – und so einen Zugang erschließen, zum Ausgangspunkt des heutigen Evangeliums, zum Doppelgebot der Liebe.
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